F.T.-Obergast Georg Haidt schildert den Angriff von U 54 auf die “Justicia”:
Frischfröhlich fuhren wir am 20. Juli in den sonnenüberfluteten Morgen hinein. Ein richtiges Kampfwetter! Sollte uns hier im Nordkanal nicht einmal eine richtige, fette Beute zulaufen?
„Rechts voraus eine Rauchwolke!“ meldet der Ausguck plötzlich. „Nein, drei, vier Rauchwolken!“
Wer Gläser hat, bewaffnet seine Augen, und immer breiter wird unser Gesicht.
„Neun – zehn – elf Rauchwolken! In der Mitte des Zuges ein riesiger Dampfer mit drei Masten und zwei Schornsteinen!“ je näher wir an den Gegner herankommen, desto klarer und deutlicher heben sich die Einzelheiten ab. Wie in einem Ameisenhaufen, so wimmelt es vor uns. Annähernd sechzig Bewacher, Zerstörer, U-Bootjäger, Vorpostenboote und ein kleiner Kreuzer sichern den Koloß. Der Kommandant hält diesen wegen seiner Größe und der Ähnlichkeit seines Schattenrisses zunächst für die „Vaterland“, die bei Ausbruch des Krieges in Neuyork lag und in den letzten Wochen wieder in Fahrt gesetzt worden war. In Wirklichkeit war der Dampfer, den der Kommandant sofort anzugreifen beschließt, die ganz neue englische „Justicia“.
„Der Dampfer muß unser werden, koste es, was es wolle!“ Dieser Gedanke beseelte jeden einzelnen unserer Besatzung. Das Wetter ist ungewöhnlich sichtig, und schwere Dünung läuft. Der Kommandant sucht deshalb mit seinem Boote die Sonnenseite auf, um möglichst spät entdeckt zu werden.
Da ändert der Riese plötzlich 20 Grad Kurs, und wir befinden uns nunmehr auf der falschen Angriffseite. Umdrehen und die Spitze der Bewachung unterfahren! Wie wild durchfurchen die feindlichen Bewacher die See. Schon haben sie uns entdeckt, und die rasend gewordene Meute fällt über uns her. Ein Trommelfeuer mit sechzig Wasserbomben zwingt uns auf 50 Meter Tiefe.
Doch der Kommandant lässt sich von seinem Entschluß, unter allen Umständen zum Angriff zu kommen, nicht abbringen. Wir steigen auf Sehrohrtiefe. Zwei Wasserbombenexplosionen unter uns drücken, nein werfen uns mit aller Wucht an die Wasseroberfläche.
Kopf hoch! Augen klar! In haarscharfer Schussrichtung liegt der Riese vor uns, dazwischen jedoch ein großer Zerstörer mit Kurs auf uns. Mit äußerster Kraft jagt dieser auf uns zu und will uns rammen. Doch unser Kommandant ist schneller.
„Rohr eins und zwei los!“
„Schnell tauchen!“
Wir laufen nach vorn; das Boot bäumt sich; um uns her kracht und dröhnt es; wir laufen nicht mehr, nein wir fallen. Gelingt es uns nicht, bald auf die entsprechende Tiefe zu kommen, so sind wir erledigt.
Wir liegen in 59 Meter Tiefe.
Zwei mächtige Detonationen tragen uns die Kunde zu, daß unserer Bronzefische brav und wacker gearbeitet haben.
Ein Zwerg hat einen Riesen bezwungen!
Doch wir haben keine Zeit, uns zu freuen. Das Licht erlischt. „Taschenlampen her! Wo ist die Notbeleuchtung? Ist denn alles verrückt?“ Wie steht denn unser Boot da? Glatt auf dem Bug, fast senkrecht steht es im Wasser. Zurück geht die Kletterei, achterwärts. Nirgends kann man sich halten; immer wieder rutschen wir abwärts; die Finger krallen sich in die Eisenplatten; die Fingernägel brechen. Fast unmöglich scheint es, das Boot wieder auf ebenen Kiel zu bringen.
Doch der Gedanke an die Heimat, die wir wiedersehen wollen, verleiht uns übermenschliche Kraft.
Endlich, endlich! Wir haben es geschafft! Gott sei Dank! Er hat uns geholfen. Die Nerven beruhigen sich. Doch noch ist die Gefahr nicht beseitigt. Die explodierenden Wasserbomben geben Nachricht, daß uns der Gegner noch hart auf den Fersen ist, die Maschinen werden abgestellt und vollkommene Ruhe im Boot befohlen.
Zum Glück treibt ein starker Strom und unser Ölbunker kann nicht zum Verräter werden. Schon wirft der Gegner seine Bomben etwas entfernter.
Infolge des eingedrungenen Wassers wurde die Luft im Boot von Minute zu Minute schlechter. Viermal wollten wir hoch und stets drückten uns die Feinde herunter. Beim vierten Auftauchen schleuderte der innere Luftüberdruck unsern Kommandanten wie einen Spielball aus dem Luk. Fast wäre er über Bord gegangen. Um achtzehn Uhr meldete der leitende Ingenieur, daß wir nur noch einmal tauchen könnten, dann sei der Strom in der elektrischen Batterie zu Ende. Schwer lag die Verantwortung auf dem Kommandanten. Rasch entschloss er sich zum Auftauchen.
Kaum ist der Turm frei, das heißt über Wasser, so springt auch schon das Luk auf, und die Geschützmannschaften eilen an die Geschütze. Im Nu sind beide gefechtsklar. In unmittelbarer Nähe ist kein feindliches Fahrzeug, aber rings um uns lauert ein Schiff neben dem anderen. Da, ist dort an der Südecke nicht eine kleine Lücke? Ja!
„Draufgehalten, beide Maschinen äußerste Kraft. Batterie laden! Boot ventilieren!“
Noch sind wir nicht entdeckt. Fiebernd stehen die Leute an den Geschützen; genügend Munition liegt da, und die Geschütze sind feuerbereit. Etwa 1000 Meter vor der Lücke entdeckt uns der Gegner und – schon blitzt es drüben auf. Wie eine Erlösung wirkt dies auf uns. Jetzt können wir handeln. Feuererlaubnis. Hei, nun beginnt des Lebens Freude wieder! Der nächste Vorpostendampfer bekommt das zu spüren. Unsere Kanoniere leisten Unmenschliches. In wenigen Minuten ist der eine Dampfer erledigt. Er sinkt. Den ihm zu Hilfe eilenden Genossen ereilt dasselbe Schicksal.
Unser Durchbruch ist geglückt! Wir können von neuem tauchen. Kein Feind erblickt uns mehr.
Am nächsten Vormittag trafen wir UB 64. Das Boot kam längsseits, und wir gaben ihm einen Reserve-F.T.-Lautverstärker ab. Mit großer Freude berichtete das UB 64, daß einer unserer Torpedo den Zerstörer, der uns rammen wollte, mitten unter dessen Kesselanlage zur Detonation brachte. Von UB 64 erfuhren wir auch, daß die „Justicia“ – jetzt wußten wir, mit welchem Riesen wir gekämpft hatten – drei Stunden nach dem Angriff gekentert und gesunken sei.
Allerdings hatte UB 64 tags zuvor schon einen Torpedo auf ihn lanziert, der den Riesen zwang, zur Reparatur in die Werft zurückzukehren. Und auf dem Wege dorthin versetzten wir ihm den Todesstoß.
Noch einen weiteren Truppentransportdampfer konnten wir in den nächsten Tagen auf unsere Versenkungsliste setzen. In dem Kampfe mit diesem erlitten wir jedoch auch einen erheblichen Schaden, so daß wir Kurs Heimat nehmen mußten. (Anmerkung des Autors: Eine weitere Versenkung ist im KTB nicht verzeichnet)
Freudig begrüßten wir die im rötlichen Schein der untergehenden Sonne langsam auftauchende Insel Helgoland. Heimat!
Bald schleusten wir in Wilhelmshaven unter den Klängen der Kapelle „S.M.S. Hamburg“ ein. Der Kaiser kam an Bord und schüttelte jedem einzelnen der Besatzung die Hand. Aufmerksam gemacht auf die mit Öl beschmutzten Maschinengriffe, sagte er: „ Was für meine Leute recht ist, ist auch für mich recht.“
Wäre nur der Kaiser öfters zu uns gekommen, vieles wäre verhindert worden. Wer von den Leuten in der Heimat verstand uns an der Front? Wenige!
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